Einstellung von Arbeitnehmern

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Rechtsmissbräuchlichkeit des Entschädigungsverlangens - Bundesarbeitsgericht Urteil vom 31.03.2022 (8 AZR 238/21) - Bundesarbeitsgericht weist AGG-Hopper in seine Schranken (AGG-Hopping)


Der Europäische Gerichtshof hat am 17. April 2018 eine weitreichende Entscheidung für kirchliche Arbeitgeber gefällt (Urteil in der Rechtssache C-414/16). Danach darf die Konfession von Bewerbern nicht bei jeder Stelle Ausschlusskriterium sein. Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 46/18 des Gerichtshof der Europäischen Union:

Das Erfordernis, dass Bewerber um eine bei der Kirche zu besetzende Stelle einer bestimmten Religion angehören, muss Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können.

Dieses Erfordernis muss notwendig und angesichts des Ethos der Kirche aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten sein und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

Nach dem Umweg über den Europäischen Gerichtshof hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 25. Oktober 2018 (8 AZR 501/14) den Fall entschieden. Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 53/18:

Nach § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG - in unionsrechtskonformer Auslegung - ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nur zulässig, wenn die Religion nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft bzw. Einrichtung darstellt.

Die Diakonie Deutschland hat sich in der Pressemitteilung vom 25. Oktober 2018 ebenfalls geäußert. Auszug:

Diakonie und EKD sehen im heutigen BAG-Urteil eine Abweichung zur langjährigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat den Kirchen bisher in einem festgelegten Rahmen die Entscheidung überlassen, für welche Tätigkeiten die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche erforderlich ist. Gemeinsam mit der EKD wird die Diakonie Deutschland die Urteilsbegründung des BAG abwarten und prüfen, welche Konsequenzen ggf. daraus zu ziehen sind. Dazu gehört auch die Prüfung, ob gegen den Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht das Bundesverfassungsgericht angerufen wird.

Grundsätzliches

Da bei der Einstellung von Arbeitnehmern neben einer Vielzahl von Gesetzen auch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gelten können, ist im Einzelfall eine eingehende Rechts- und Steuerberatung zu empfehlen.

Besondere Anforderungen stellt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Die Arbeitgeber haben die Aufgabe, von der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses über die Vertragsgestaltung und die praktische Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses bis hin zur Beendigung Diskriminierungen zu vermeiden.

Wichtige Punkte vor Abschluss des Arbeitsvertrages:

  • Um Schadensersatzforderungen abgelehnter Bewerber zu vermeiden, müssen Stellenausschreibungen hinsichtlich der in § 1 AGG genannten Merkmale neutral gefasst werden. Die Stellenausschreibung muss insbesondere geschlechtsneutral formuliert sein (sonst droht AGG-Hopping).
  • Wenn sich der Arbeitsplatz dafür eignet, muss die Ausschreibung auch als Teilzeitarbeitsplatz erfolgen.
  • Eine Verpflichtung freie Stellen der Bundesagentur für Arbeit zu melden gibt es eigentlich nicht. Um Probleme zu vermeiden sollte es der Arbeitgeber aber tun. Der Arbeitgeber muss nämlich nach § 164 SGB IX (bis 2017 § 81 SGB IX) prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Der Arbeitgeber muss dazu frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen. Für Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber sind die Pflichten nach § 165 SGB IX (bis 2017 § 82 SGB IX) noch höher.
    Durch das Bundesteilhabegesetz kommt es zu Änderungen im SGB IX. Eine wesentliche Änderung betrifft die neue Nummerierung der Paragrafen (gültig ab 01.01.2018).
    Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13.10.2011, 8 AZR 608/10
    Auszug aus den Entscheidungsgründen:
    Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ein Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Weiter ist nach § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX jeder Arbeitgeber verpflichtet, vor der Besetzung einer freien Stelle frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufzunehmen. Die Verletzung dieser Pflicht ist als Vermutungstatsache für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung geeignet (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21).
  • Beachtung gesetzlicher Beschäftigungsverbote (Jugendarbeitsschutzgesetz).
  • Beachtung der Arbeitsbeschränkungen von Nicht EU-Angehörigen (Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsgenehmigung muss vorliegen).
  • Durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wurde das Fragerecht des Arbeitgebers weiter beschnitten.
  • Es gibt keine Offenbarungspflicht von Schwangeren im Bewerbungsschreiben oder Vorstellungsgespräch. Dies gilt selbst dann, wenn sie befristet als Schwangerschaftsvertretung beschäftigt werden soll.
  • Ärztliche Einstellungsuntersuchungen und psychologische Eignungstest dürfen nur in gesetzlich vorgeschriebenen Fällen oder mit ausdrücklicher Zustimmung des Bewerbers durchgeführt werden.
  • Wenn die Vorstellung auf Einladung des Arbeitgebers erfolgte, sind die Vorstellungskosten des Bewerbers zu erstatten. Der Arbeitgeber kann den Erstattungsanspruch bei der Einladung zur Vorstellung allerdings schriftlich ausschließen.
  • Gibt es im Betrieb einen Betriebsrat und hat der Betrieb in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer, ist der Betriebsrat bei einer Einstellung anzuhören (§ 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz).
  • Der Betriebsrat kann verlangen, dass Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen, allgemein oder für bestimmte Arten von Tätigkeiten vor ihrer Besetzung innerhalb des Betriebs ausgeschrieben werden (§ 93 BetrVG).
  • Staatliche Zuschüsse sind vor Abschluss eines Arbeitsvertrages bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu beantragen.
    Arbeitgeber können zur Eingliederung von förderungsbedürftigen Arbeitnehmern Zuschüsse zu den Arbeitsentgelten zum Ausgleich von Minderleistungen erhalten. Die Förderhöhe und die Förderdauer richten sich nach dem Umfang einer Minderleistung des Arbeitnehmers und nach den jeweiligen Eingliederungserfordernissen.

Aufgaben des Arbeitgebers bei Neueintritt eines Arbeitnehmers:

Ein guter Arbeitsvertrag sollte die tarifliche Situation und die betrieblichen Notwendigkeiten berücksichtigen, vollständig sein sowie dem aktuellen Stand der Rechtsprechung entsprechen (wichtige Punkte eines Arbeitsvertrags).

Informationen zu Teilzeitarbeit und Befristung.

Bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten gelten besondere Vorschriften.

Arbeitnehmer und Auszubildende sind grundsätzlich kraft Gesetzes sozialversichert. Zu Meldungen und Beitragsberechnung finden Sie alle Informationen im Kapitel Sozialversicherung.

Alle Beschäftigten sind pflichtversichert in der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der Arbeitgeber hat noch 3 Umlagen zu tragen. Diese werden zusammen mit den Sozialversicherungsbeiträgen an die Krankenkasse abgeführt (bei Minijobs an die Minijob-Zentrale).

Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, die Lohnsteuer, den Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls die Kirchensteuer vom Lohn des Arbeitnehmers einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Alle diesbezüglichen Informationen finden Sie im Kapitel Lohnsteuerabzug.

Arbeitgeber sind nicht dazu verpflichtet, einem Bewerber die Stellenabsage zu begründen

Bundesarbeitsgericht vom 20.5.2010 - Europäischer Gerichtshof vom 19.04.2012 - Bundesarbeitsgericht vom 25.4.2013

Das Bundesarbeitsgericht hatte dem Gerichtshof der Europäischen Union mit der Entscheidung vom 20.5.2010 [8 AZR 287/08 (A)] folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Gebietet es das Gemeinschaftsrecht, einem Bewerber, der darlegt, dass er die Voraussetzungen für eine von einem Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle erfüllt, dessen Bewerbung jedoch nicht berücksichtigt wurde, gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Auskunft einzuräumen, ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt hat und wenn ja, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt ist?

Einen Anspruch der Klägerin auf Auskunft gegen die Beklagte, hat das Bundesarbeitsgerichts nach nationalem Recht nicht gesehen. Ob dies den einschlägigen Antidiskriminierungsrichtlinien des Gemeinschaftsrechts entspricht, durfte das Bundesarbeitsgericht nicht selbst entscheiden.

Der Europäische Gerichtshof kam im Urteil vom 19.04.2012 in der Rechtssache C-415/10 zu dem Ergebnis, dass Arbeitgeber nicht dazu verpflichtet sind, einem Bewerber die Stellenabsage zu begründen. Der Arbeitgeber muss auch nicht mitteilen, ob und aufgrund welcher Kriterien ein anderer Bewerber eingestellt wurde.
Etwas Wischiwaschi kommt im Urteil am Ende aber doch noch. Danach kann die Verweigerung jeder Information durch einen Arbeitgeber ein Indiz für eine mögliche Diskriminierung sein. Damit waren jetzt wieder die deutschen Gerichte gefordert.

Gerichtshof der Europäischen Union
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 46/12 (Luxemburg, den 19. April 2012)

Die Rechtsvorschriften der Union sehen für einen Arbeitnehmer, der schlüssig darlegt, dass er die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt, und dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vor, ob der Arbeitgeber am Ende des Einstellungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat.
Die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen kann jedoch ein Gesichtspunkt sein, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist.
......
Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht dahin gehend auszulegen ist, dass es für einen Arbeitnehmer, der schlüssig darlegt, dass er die in einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt, und dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsieht, ob der Arbeitgeber am Ende des Einstellungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat.
Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies dort der Fall ist.

Damit war der Ball wieder beim Bundesarbeitsgericht. Mit Urteil vom 25. April 2013 (8 AZR 287/08) kam das Bundesarbeitsgericht zu folgender Entscheidung (Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 28/13 des Bundesarbeitsgerichts):

Ein abgelehnter Stellenbewerber hat gegen den Arbeitgeber keinen Anspruch auf Auskunft, ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt hat.
....
Auch die Verweigerung jeglicher Auskunft durch die Beklagte begründete im Streitfalle nicht die Vermutung einer unzulässigen Benachteiligung der Klägerin iSd. § 7 AGG.

Zur Vorsicht sollte der Arbeitgeber aber möglichst allgemeine Auskünfte über die Stellenbesetzung geben. Die Absagen an Bewerber sollten so nichtssagend wie möglich sein (keine Angabe eines Grundes der Absage; am besten nur mitteilen, dass man sich anderweitig entschieden hat).

Pflichten des Arbeitgebers bei Einstellungsverhandlungen

Der Arbeitgeber ist verpflichtet den Bewerber auf besondere gesundheitliche Belastungen (wenn vorhanden) und auf weitere überdurchschnittliche Anforderungen (wenn vorhanden) hinzuweisen.
Wenn ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrags bewusst über persönliche Eigenschaften täuscht, die für das Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind, rechtfertigt das die Anfechtung des Arbeitsvertrages, der damit sofort beendet ist.

Der Arbeitgeber muss die Bewerbungsunterlagen sorgfältig aufbewahren. Wenn kein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird, oder wenn die Bewerbungsunterlagen nach dem Abschluss eines Arbeitsvertrages nicht mehr erforderlich sind, müssen die Unterlagen zurückgegeben werden und grundsätzlich der Personalfragebogen vernichtet werden. Im Falle der Ablehnung eines Bewerbers ist die Zweimonatsfrist für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach §15 Abs. 4 AGG zu beachten. Der Arbeitgeber darf zur Dokumentation die Bewerbungsunterlagen bis zum Ablauf der Zweimonatsfrist aufbewahren.

Der Arbeitgeber muss über alle Informationen aus Einstellungsverhandlungen schweigen.

AGG-Hopping

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern und beseitigen.

Die durch das Gesetz geschützten Personen erhalten Rechtsansprüche gegen Arbeitgeber, wenn diese ihnen gegenüber gegen die gesetzlichen Diskriminierungsverbote verstoßen. Das geht beim Einstellungsverfahren nach hinten los, denn es droht der gemeine AGG-Hopper. Ein Menschenschlag, der eigentlich nicht eingestellt und auch nicht arbeiten will, aber absahnen möchte durch Entschädigungszahlungen. Krank ist nicht nur dieses Verhalten, sondern auch die juristische Perversion die das erst ermöglicht.

"AGG-Hopper" schädigen Unternehmen und belasten die Gerichte. Das Bundesarbeitsgericht will das nicht länger mitmachen und wollte vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob Arbeitsgerichte Unternehmen auch bei mutmaßlichen Scheinbewerbungen zu Schadensersatz wegen Diskriminierung verurteilen müssen (Bundesarbeitsgericht Beschluss vom 18. Juni 2015 - 8 AZR 848/13 (A).
Der "AGG-Hopper" ist "Jurist". Da er die Erste Juristische Staatsprüfung nur mit der Note "befriedigend" und die Zweite Juristische Staatsprüfung nur mit "ausreichend" bestanden hat, versucht er es wohl mit vorgetäuschten Stellenbewerbungen und anschließenden Schadensersatzforderungen wegen angeblicher Diskriminierung.
Nach Ansicht der Luxemburger Richter sei der Schutz vor Benachteiligung wegen Religion, Weltanschauung, Alter, Geschlecht oder sexueller Orientierung im Berufsleben nur für ernsthafte Bewerber gedacht.
Auszug aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-423/15 vom 28. Juli 2016:

Nach der Vorlageentscheidung ist das Ausgangsverfahren dadurch gekennzeichnet, dass Herr Kratzer seine Bewerbung um eine Trainee-Stelle bei R+V nicht eingereicht hat, um diese Stelle zu erhalten, sondern nur, um den formalen Status als Bewerber zu erlangen, und zwar mit dem alleinigen Ziel, auf der Grundlage der Richtlinien 2000/78 und 2006/54 eine Entschädigung geltend zu machen.
Ein Sachverhalt, der Merkmale aufweist, wie sie in der Vorlageentscheidung beschrieben sind, fällt grundsätzlich nicht in den Geltungsbereich der Richtlinien 2000/78 und 2006/54.
...
Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sind dahin auszulegen, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff "Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit" im Sinne dieser Bestimmungen fällt und, wenn die nach Unionsrecht erforderlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen, als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.

Damit hat der Europäische Gerichtshof die Position von Unternehmen gegenüber Scheinbewerbern gestärkt, die allein auf Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz abzielen. Scheinbewerber haben keinen Anspruch auf Schadensersatz, selbst wenn Indizien für eine Diskriminierung vorliegen. Ihr Verhalten ist rechtsmissbräuchlich.

Rechtsmissbrauch und Provokation einer Ablehnung der Bewerbung - Bundesarbeitsgericht Urteil vom 25.10.2018 (8 AZR 562/16)
Nach Ansicht der Richter ergibt eine Würdigung des Inhalts des Bewerbungsschreibens des Klägers, dass dieser es geradezu auf eine Absage des Beklagten angelegt, mithin eine Absage provoziert hat. In Ermangelung von gegenteiligen Anhaltspunkten kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass es ihm nicht darum ging, die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern dass er mit seiner Bewerbung nur die Voraussetzungen für die Zahlung einer Entschädigung schaffen wollte.

Rechtsmissbräuchlichkeit des Entschädigungsverlangens - Bundesarbeitsgericht Urteil vom 31.03.2022 (8 AZR 238/21) - Bundesarbeitsgericht weist AGG-Hopper in seine Schranken
Ein über 70-jähriger pensionierter ehemaliger Beamte im Bundespresseamt bewarb sich auf eine Stelle als Bürosachbearbeiter.

  • Gefordert war gutes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen: Er bewarb sich mit zahlreichen ins Auge springenden Rechtschreib- sowie Grammatikfehlern.
  • Der Bewerber sollte Aufgeschlossen für IT-Anwendungen sein: Der Kläger hat seine Bewerbung entgegen der Aufforderung in der Stellenbeschreibung nicht über das Online-Bewerbungssystem unter Verwendung der angegebenen Kennziffer eingereicht und zum Thema IT-Anwendungen nichts aufgeführt.
  • Erforderlich für die Stelle war ausdrücklich Freundlichkeit: Mit seinen E-Mails hat er einen Mangel an Freundlichkeit offenbart.
  • Auf die Forderung des sicheren Umgangs mit MS Office Produkten ging der Bewerber überhaupt nicht ein.
  • Der Bewerber machte durch die Angabe seiner pensionsbedingten Höchstverdienstgrenze deutlich, dass er die ausgeschriebene Vollzeitstelle allenfalls in Teilzeit ausüben könnte.

In dem Fall hätte eigentlich schon die erste Instanz zu dem Schluss kommen können, dass die Geltendmachung der Entschädigung des ehemaligen Beamten rechtsmissbräuchlich ist. Erst das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass der Kläger es geradezu auf eine Absage der Beklagten angelegt hat. Hier fragt man sich, warum nicht schon das Arbeitsgericht Bonn oder spätestens das Landesarbeitsgericht Köln den Unfug beendet hat.
Auszug aus den Entscheidungsgründen des Urteils:

Nach alledem ergibt eine Würdigung aller Umstände des vorliegenden Falls, dass der Kläger sich bewusst als in wesentlichen Punkten ungeeigneter Bewerber präsentiert hat. Sein gesamtes Verhalten - einschließlich seiner E-Mails - macht deutlich, dass er es geradezu auf eine Absage der Beklagten angelegt, die Absage mithin provoziert hat. In Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass es ihm nicht darum ging, die ausgeschriebene Stelle zu erlangen, sondern dass er mit seiner Bewerbung nur die Voraussetzungen für die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG schaffen wollte.

Das Verfahren kam zwar noch zu einem gerechten Ende: Absage des Entschädigungsverlangens des Klägers. Am Ende stellt sich der normale Bürger aber doch die Frage, was dieser Irrsinn soll. Der Irrsinn verordneter Anti-Diskriminierung. Haben wird in Deutschland nicht andere Probleme.

AGG-Hopping ist also nichts anderes als gesetzlich sanktioniertes Abmahnen von Arbeitgebern.

Das AGG ist eigentlich ein Beschäftigungsprogramm für Juristen und Unternehmensberater. Die Gleichbehandlung aller ist eine Utopie und wird es immer bleiben. Schon die Tatsache der Einstellung führt ja zu einer Ungleichbehandlung der Bewerber. Ein Arbeitgeber trägt als Unternehmer das ganze Risiko, also sollte ihm auch bei der Einstellung von Personal die freie unternehmerische Entscheidung möglich sein.

Nur durch eine sorgfältige Planung und Durchführung der Stellenbesetzung kann die Gefahr erfolgreicher Entschädigungsklagen der AGG-Hopper ausgeschlossen werden.

Was kann der Arbeitgeber tun:

  • Neutrale Stellenausschreibung (kein Hinweis auf Alter, Geschlecht usw.)
  • Wenn Deutschkenntnisse wichtig sind, so sollte man als Arbeitgeber in Stellenausschreibungen "perfekte" oder "sehr gute" Deutschkenntnisse verlangen. Die in einer Stellenausschreibung enthaltene Anforderung "Deutsch als Muttersprache" kann Personen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 29.6.2017; 8 AZR 402/15).
  • Absagen an Bewerber sollten so nichtssagend wie möglich sein. Es empfiehlt sich, auf eine Begründung der Absage an einen Bewerber zu verzichten, um keine Angriffsfläche zu schaffen (am besten nur mitteilen, dass man sich anderweitig entschieden hat).
  • Da der AGG-Hopper einen Anspruch innerhalb einer Frist von zwei Monaten (§ 15 AGG) schriftlich geltend machen kann, den ganzen Schriftkram (Bewerbung und Ablehnung) diese Zeit aufbewahren. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung mit dem Zugang der Ablehnung.

Einführung eines dritten Geschlechtsmerkmals - Anpassung Stellenausschreibungen

Mit dem Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18.12.2018 wurde ein drittes Geschlechtsmerkmal "divers" eingeführt. Kann ein Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe "divers" in das Geburtenregister eingetragen werden. Darüber hinaus können seit dem 22.12.2018 Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung gegenüber dem Standesamt erklären, welche der in § 22 Absatz 3 Personenstandsgesetz vorgesehenen Bezeichnungen für sie maßgeblich ist, oder auf die Angabe einer Geschlechtsbezeichnung verzichten, sofern sie die in § 45b Personenstandsgesetz genannten Voraussetzungen erfüllen.
Aus diesen Gründen ist auch das Bewerbungsverfahren anzupassen. Wenn nur männliche und weibliche Tätigkeitsbezeichnungen verwendet werden, wird ein Vermutungstatbestand für eine Benachteiligung des dritten Geschlechts geschaffen. Der "AGG-Hopper" wird sich freuen. Die Angaben zum Geschlecht sollten wie folgt gestaltet werden:

  • M = männlich
  • W = weiblich
  • X = unbestimmt
  • D = divers

Weitere Probleme ergeben sich für die korrekte Anrede und gendergerechte Berufsbezeichnungen. Möglichkeiten:

  • Liebe Bewerbende
  • Liebe Mitarbeiter
  • Verehrte Anwesende
  • Sehr geehrte Menschen
  • Hallo Leute

Frage nach der Schwerbehinderung im Einstellungsverfahren bzw. im bestehenden Arbeitsverhältnis

Vor dem Inkrafttreten des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) war es dem Arbeitgeber erlaubt, nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu fragen. Mit dem Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 war die Frage eigentlich unzulässig. Weil mit der Schwerbehinderteneigenschaft einige Anforderungen an den Arbeitgeber verbunden sind und manche Stellen für Schwerbehinderte ungeeignet sind, ist dieser Zustand für den Arbeitgeber eigentlich eine Zumutung.
Verboten bedeutet nicht, dass diese Frage nicht gestellt werden darf, sondern dass der Arbeitnehmer nicht antworten muss bzw. falsch antworten kann. Die Frage sollte der Arbeitgeber im Einstellungsgespräch also in jedem Fall stellen. Damit hat er Sicherheit im Zusammenhang mit bestimmten Anforderungen. Was dem Arbeitgeber nicht bekannt ist, kann er auch nicht erfüllen.

Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 16. Februar 2012 (6 AZR 553/10) zur Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis Stellung bezogen.
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 12/12 des Bundesarbeitsgerichts:

Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist jedenfalls nach sechs Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen, die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen.
Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung steht im Zusammenhang mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG, der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl verlangt, sowie durch den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX, wonach eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Sie soll es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu zu verhalten. Die Frage diskriminiert behinderte Arbeitnehmer nicht gegenüber solchen ohne Behinderung. Auch datenschutzrechtliche Belange stehen der Zulässigkeit der Frage nicht entgegen. Infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seiner Schwerbehinderung ist es dem Kläger unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.

Stellenbewerber darf eingestellte Ermittlungsverfahren verschweigen

Wenn der Arbeitgeber einen Stellenbewerber nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren fragt, darf gelogen werden. Kommt diese Lüge nach einer Einstellung heraus, kann der Arbeitgeber deshalb nicht kündigen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. November 2012 - 6 AZR 339/11
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 79/12:

Der Arbeitgeber darf den Stellenbewerber grundsätzlich nicht nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren fragen. Eine solche unspezifizierte Frage verstößt gegen Datenschutzrecht und die Wertentscheidungen des § 53 Bundeszentralregistergesetz (BZRG). Stellt der Arbeitgeber die Frage dennoch und verneint der Bewerber in Wahrnehmung seines informationellen Selbstbestimmungsrechts wahrheitswidrig, dass gegen ihn Ermittlungsverfahren anhängig waren, darf der Arbeitgeber das zwischenzeitlich begründete Arbeitsverhältnis nicht wegen dieser wahrheitswidrig erteilten Auskunft kündigen.
....
Das Arbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung, das Landesarbeitsgericht auch die ordentliche Kündigung als unwirksam angesehen. Die hiergegen eingelegte Revision des beklagten Landes blieb vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg.

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