Überstunden - Mehrarbeit

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Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 - 5 AZR 359/21
Im Überstundenvergütungsprozess trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für geleistete Überstunden.


Ein Tarifvertrag, der für die Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt und nicht auch die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub in Anspruch nimmt, verstößt gegen Unionsrecht (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Januar 2022, C-514/20).
Das Bundesarbeitsgericht hatte den Europäischen Gerichtshof im Verfahren 10 AZR 210/19 (A) vom 17.06.2020 um Vorabentscheidung ersucht. Es ging um den Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit.
Auszug aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs:

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob die Schwelle der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit erreicht ist, die Stunden, die dem vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen bezahlten Jahresurlaub entsprechen, nicht als geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden.

Der Kläger (Leiharbeitnehmer in Vollzeit) war der Ansicht, dass in die Berechnung der Mehrarbeitszuschläge die für Urlaub abgerechneten Stunden einbezogen werden müssen.
Die Beklagte (Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung) meint, für die Berechnung der Mehrarbeitszuschläge seien nach dem Wortlaut des MTV nur tatsächlich gearbeitete Stunden einzubeziehen.
Nach Ansicht der Richter entspräche dies der Schaffung eines Anreizes, auf den Erholungsurlaub zu verzichten.
Damit verstößt eine tarifliche Regelung, die bei der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge die Urlaubszeiten der Beschäftigten nicht berücksichtigt, gegen EU-Recht.

Mehrarbeitszuschläge nach dem Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit - Berücksichtigung von Urlaubsstunden - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. November 2022 - 10 AZR 210/19
Auszug aus der Pressemitteilung 44/22 des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2022:

Die Revision des Klägers hatte unter Zugrundelegung dieser Entscheidung vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die tarifliche Regelung des § 4.1.2 MTV muss bei gesetzeskonformer Auslegung so verstanden werden, dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern auch Urlaubsstunden bei der Frage mitzählen, ob der Schwellenwert, ab dem solche Zuschläge zu zahlen sind, überschritten wurde. Anderenfalls wäre die Regelung geeignet, den Arbeitnehmer von der Inanspruchnahme seines gesetzlichen Mindesturlaubs abzuhalten, was mit § 1 BUrlG in seinem unionsrechtskonformen Verständnis nicht vereinbar wäre.

Auszug aus der IW-Nachricht vom 19. Mai 2021 (Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.):

Knapp 1,7 Milliarden Überstunden wurden im Krisenjahr 2020 von den Arbeitnehmern geleistet - das sind 41 pro Kopf und Jahr. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor. Was zunächst nach viel klingt, ist bei genauerer Betrachtung wenig: Die Überstunden machen nur 3,2 Prozent des Arbeitsvolumens der Arbeitnehmer aus.
Die Bedeutung der Überstunden ist geringer als etwa die der Krankentage, durch die 68 Stunden pro Kopf und Jahr verloren gehen. Vor allem aber sind Überstunden ein Auslaufmodell: Seit Jahren leisten Arbeitnehmer weniger Überstunden.
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Die Zusatzstunden gehen vor allem aus zwei Gründen zurück: Zum einen sind Arbeitszeitkonten deutlich verbreiteter als früher. Da für Überstunden in vielen Tarifverträgen teure Zuschläge fällig werden, greifen Arbeitgeber auf Alternativen zurück - und die Arbeitnehmer bauen die Mehrarbeit dann einfach ab, wenn im Betrieb weniger zu tun ist. Zum anderen sorgte die Corona-Krise dafür, dass es in vielen Bereichen weniger Arbeit gab, darauf dürfte der aktuelle Rückgang um 4,4 Stunden pro Kopf im vergangenen Jahr zurückzuführen sein.
Damit spielen Überstunden auch eine Rolle, um Beschäftigung in der Krise zu stabilisieren. So war der Stabilisierungseffekt durch den Rückgang der Überstunden größer als der von Guthaben auf Arbeitszeitkonten, die lediglich um drei Stunden schrumpften.
Knapp die Hälfte der Überstunden werden bezahlt, die andere Hälfte ist unbezahlt. In diesen Fällen ist im Arbeitsvertrag bestimmt, dass eventuell anfallende Mehrarbeit mit dem Gehalt abgegolten ist. Solche Arrangements finden sich überdurchschnittlich häufig bei Hochqualifizierten und Führungskräften, die Vertrauensarbeitszeitmodelle haben.

Grundsätzliches

Weder für den Begriff Überstunden noch für Mehrarbeit gibt es eine gesetzliche Definition. Unter Mehrarbeit wird allgemein die Überschreitung der gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeit verstanden.

§ 3 Arbeitszeitgesetz:

Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Das Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) liefert in § 3 Abs. 2 folgende Definition für den Werktag:

Als Werktage gelten alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind.

Werktage sind demnach die Tage von Montag bis Samstag. Das Arbeitszeitgesetz geht damit von einer regulären Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden aus. Bei einer 5-Tage-Woche wäre ebenfalls eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von bis zu 48 Wochenstunden möglich. Es könnten z. B. an 4 Tagen je 10 Stunden und an einem Tag 8 Stunden gearbeitet werden.
Die maximale Wochenarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz wären 60 Stunden (6 Tage zu jeweils 10 Stunden). Das ist jedoch nur mit dem oben angesprochenem Ausgleich möglich.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin versteht unter Überstunden die Überschreitung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Das Ausmaß der Überstunden ergibt sich damit aus der Differenz zwischen tatsächlicher Arbeitszeit und vertraglich vereinbarter Arbeitszeit.

Auszug aus dem Arbeitszeitreport Deutschland 2022 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Ergebnisse der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021):

Mehr als die Hälfte der abhängig Beschäftigten (56 %) leistet keine Überstunden, 23 Prozent leisten bis zu 5 Überstunden pro Woche, 14 Prozent mehr als 5 bis 10 Überstunden pro Woche und 7 Prozent mehr als 10 Überstunden pro Woche.
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Unter den Vollzeitbeschäftigten macht knapp ein Viertel (25 %) mehr als 2 bis 5 Überstunden pro Woche und 16 Prozent mehr als 5 bis 10 Stunden pro Woche. In Teilzeit hingegen arbeiten 17 Prozent bis zu 5 Stunden pro Woche und 6 Prozent mehr als 5 bis 10 Stunden pro Woche länger als vereinbart.
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In der Industrie (49 %) werden am häufigsten Überstunden geleistet, gefolgt vom Öffentlichen Dienst und "anderen Bereichen" (jeweils 44 %), den Dienstleistungen (43 %) und schließlich dem Handwerk (38 %). Dabei sind die Anteile von Beschäftigten mit sehr vielen Überstunden (mehr als 10 Stunden pro Woche) besonders im Öffentlichen Dienst und "anderen Bereichen" höher (jeweils 10 %). Überstunden treten zudem häufiger in großen Betrieben (48 %) als in kleinen (40 %) und mittelgroßen Betrieben (45 %) auf.
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In der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021 gibt etwa die Hälfte der Beschäftigten mit Überstunden (51%) an, dass ihre Überstunden ausgeglichen werden (transitorische Überstunden). Deutlich seltener werden Überstunden ausbezahlt (13 %) oder verfallen gänzlich (12 %).

Arbeitnehmer müssen grundsätzlich keine Überstunden leisten. Es gilt die vereinbarte Arbeitszeit.
Es gibt aber viele Ausnahmen:

  • im Arbeitszeitgesetz definiert (insbesondere § 7 Abweichende Regelungen und § 14 Außergewöhnliche Fälle)
  • in Tarifverträgen definiert
  • in Betriebsvereinbarungen definiert

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 eingewilligt haben. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren (§ 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz).

Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen enthalten häufig Regelungen zu Überstunden.
Beispiel:
Überstunden liegen vor, wenn die tatsächliche Arbeitszeit die nach dem Arbeits- oder Tarifvertrag geschuldete Leistung übersteigt. Überstunden bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats.

oder:
Überstunden sind die auf Anordnung geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen.

Der Betriebsrat hat nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz ein Mitbestimmungsrecht, wenn der Betrieb außerhalb des Geltungsbereichs von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen eine Arbeitszeitverlängerung anstrebt.

(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
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2. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage;
3. vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit;
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Zu beachten ist auch der § 106 Gewerbeordnung:

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.

Umfang der Arbeitszeit - Überstundenpauschalierungsabrede

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts genügt der Satz: "Erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten" nicht dem Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 01.09.2010, 5 AZR 517/09 - AGB-Kontrolle - Überstundenpauschalierungsabrede
Leitsätze:

Die AGB-Klausel "erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten" genügt nicht dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), wenn sich der Umfang der danach ohne zusätzliche Vergütung zu leistenden Überstunden nicht hinreichend deutlich aus dem Arbeitsvertrag ergibt.

Auszug aus den Entscheidungsgründen:

Der Umfang der Leistungspflicht muss so bestimmt oder zumindest durch die konkrete Begrenzung der Anordnungsbefugnis hinsichtlich des Umfangs der zu leistenden Überstunden so bestimmbar sein, dass der Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss erkennen kann, was ggf. "auf ihn zukommt" und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 25.03.2015, 5 AZR 602/13 - Umfang der Arbeitszeit - "Überstundenschätzung"
Leitsätze:

1. Fehlt es an einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Bestimmung des Umfangs der Arbeitszeit, darf der durchschnittliche Arbeitnehmer die Klausel, er werde "in Vollzeit" beschäftigt, so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit 40 Wochenstunden nicht übersteigt.
2. Steht fest (§ 286 ZPO), dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht den Mindestumfang geleisteter Überstunden nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen.

Bundesarbeitsgericht Urteil vom 26.06.2019, 5 AZR 452/18 - Überstundenprozess - Darlegungslast - Arbeitszeiterfassung
Leitsätze:

1. Wird die Arbeitszeit des Arbeitnehmers (elektronisch) erfasst und zeichnet der Arbeitgeber oder für ihn ein Vorgesetzter des Arbeitnehmers die entsprechenden Arbeitszeitnachweise ab, kann der Arbeitnehmer im Überstundenprozess der ihm obliegenden Darlegungslast für die Leistung von Überstunden schon dadurch genügen, dass er schriftsätzlich die vom Arbeitgeber abgezeichneten Arbeitsstunden und den sich ergebenden Saldo vorträgt.
2. Darauf muss der Arbeitgeber im Rahmen der abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern, dass, aus welchen Gründen und in welchem Umfang die von ihm oder einem für ihn handelnden Vorgesetzten des Arbeitnehmers abgezeichneten Arbeitsstunden nicht geleistet wurden oder der behauptete Saldo sich durch konkret darzulegenden Freizeitausgleich vermindert hat. Anderenfalls gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Vergütung von Überstunden

Die Regelung erfolgt im Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag. In einer Vereinbarung kann auch ein Freizeitausgleich geregelt werden.
Beispiel:
Überstunden sind grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen; die Arbeitsbefreiung ist möglichst bis zum Ende des nächsten Kalendermonats spätestens bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ableistung der Überstunden zu erteilen.
Erfolgt kein Ausgleich, so wird für jede nicht ausgeglichene Überstunde die Überstundenvergütung gezahlt.

Die Vergütung von Überstunden setzt - bei Fehlen einer anwendbaren tarifvertraglichen Regelung - entweder eine entsprechende arbeitsvertragliche Vereinbarung oder eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 612 Abs. 1 BGB voraus. Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Arbeitsleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

Für die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen gilt die dreijährige Verjährungsfrist.

Einen gesetzlichen Anspruch auf Überstundenzuschläge gibt es nicht. Ansprüche auf Überstundenzuschläge bestehen nur, wenn es eine entsprechende Regelung im Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag gibt.

Mehrarbeit - Vergütungserwartung
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 22. Februar 2012 (5 AZR 765/10) zur Vergütungserwartung bei Mehrarbeit Stellung genommen.

Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Mai 2022 - 5 AZR 359/21: Im Überstundenvergütungsprozess trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für geleistete Überstunden.

Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Seine Arbeitszeit erfasste er mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers.
Der Auslieferungsfahrer hatte auf die Bezahlung nicht genommener Pausen als Überstunden geklagt. Er gab an, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Der Arbeitgeber hat dies bestritten.

Leitsatz des Urteils:

Verlangt der Arbeitnehmer Überstundenvergütung, hat er im Prozess die Leistung solcher und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber darzulegen. Vom Erfordernis der arbeitgeberseitigen Veranlassung ist nicht wegen der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit (EuGH 14. Mai 2019 - C-55/18 - [CCOO]) abzurücken.

Auszug aus der Pressemitteilung 16/22 des Bundesarbeitsgerichts vom 04.05.2022:

Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden - kurz zusammengefasst - erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Diese vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert.

Nach der Auffassung der Richter habe der Kläger nicht ausreichend konkret dargelegt, warum es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügt hierfür nicht.

Damit hat sich die Hoffnung der Arbeitnehmer auf einen vereinfachten Weg bei der Durchsetzung der Bezahlung von Überstunden zerschlagen. Arbeitnehmer müssen bei Vergütungsansprüchen weiterhin die Zahl der geleisteten Überstunden belegen und darlegen, dass die Zahl an Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt wurde.

Berücksichtigung bei der Lohnfortzahlung

Überstundenvergütungen und Überstundenzuschläge werden bei der Lohnfortzahlung während des Urlaubs und im Krankheitsfall nicht berücksichtigt.

Probleme gab es bei der Definition von Überstunden bzw. der Festlegung der maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21.11.2001 (5 AZR 457/00) müssen bei der Lohnfortzahlung regelmäßige Überstunden berücksichtigt werden.
Auszug aus den Entscheidungsgründen:

Arbeitet der Arbeitnehmer mit einer gewissen Stetigkeit über die tarifliche oder betriebsübliche Arbeitszeit hinaus, ist jedoch die ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung einer bestimmten ständigen Arbeitszeit in diesem Umfang nicht ohne weiteres festzustellen, gilt für die Abgrenzung der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit von den bei der Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigenden Überstunden folgendes:
a) Eine ständig erbrachte Mindestarbeitsleistung (Arbeitszeitsockel) kann als konkludent vereinbart angesehen werden, wenn der Arbeitgeber die entsprechende Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer erwartet und entgegennimmt. Sie ist Grundlage für einen Mindestumfang der Entgeltfortzahlung.
....
e) Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast zu der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit gemäß § 4 Abs. 1 EFZG im Normalfall dadurch, daß er den Arbeitszeitdurchschnitt der vergangenen zwölf Monate darlegt. Das Maß der zu fordernden Substantiierung richtet sich nach der Einlassung des Arbeitgebers. Überstunden hat der Arbeitgeber, wenn sie sich nicht bereits aus dem Vortrag des Arbeitnehmers ergeben, entsprechend der Fassung des § 4 Abs. 1 a EFZG einzuwenden. Der Arbeitgeber, der eine aus Überstunden resultierende Minderung der zu berücksichtigenden durchschnittlichen Arbeitszeit geltend macht, trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

Überstunden und Kurzarbeitergeld

Die Höhe des Kurzarbeitergeld richtet sich nach dem pauschalierten Nettoentgeltausfall im Kalendermonat. Das ist der Unterschiedsbetrag (die Nettoentgeltdifferenz) zwischen:

  • dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Sollentgelt und
  • dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Istentgelt

Sollentgelt ist das Bruttoarbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall im Kalendermonat erzielt hätte.

Istentgelt ist das im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) erzielte beitragspflichtige Bruttoarbeitsentgelt.

Entgelte für Mehrarbeit sind beim Sollentgelt nicht zu berücksichtigen (§ 106 Abs. 1 SGB III).
Entgelte für Mehrarbeit sind alle Entgelte, bei denen eine Arbeitsleistung über die regelmäßige betriebsübliche Arbeitszeit (Überstunden) hinaus abgegolten wird. Sie umfassen sowohl die entgeltliche Abgeltung der Arbeitsleistung selbst (z. B. Stundenlohn) als auch den daneben gezahlten Zuschlag (Überstundenzuschlag). Das gilt auch, wenn die Zuschläge in Form einer pauschalierten Abgeltung geleistet werden (Berechnung Kurzarbeitergeld).


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