Geringverdiener im sozialversicherungsrechtlichen Sinne - Wegen ab 2020 eingeführter Mindestvergütung für Auszubildende kaum noch von Bedeutung

Aktuelles

Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung steigt für das Jahr 2024 auf 1,7 Prozent. Das gibt das Bundesministerium für Gesundheit am 31.10.2023 mit Veröffentlichung im Bundesanzeiger bekannt.


Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung steigt für das Jahr 2023 auf 1,6 Prozent. Das gibt das Bundesministerium für Gesundheit am 31.10.2022 mit Veröffentlichung im Bundesanzeiger bekannt.


Mit dem Jahr 2020 wird für neu abgeschlossene Berufsausbildungsverhältnisse eine Mindestvergütung für Auszubildende eingeführt. Für diese neuen Berufsausbildungsverhältnisse kann die Geringverdienergrenze von 325 Euro nicht mehr zur Anwendung kommen. Wer sich vor dem 1. Januar 2020 bereits in einer Berufsausbildung befindet, profitiert nicht von den neuen Regelungen.
Damit verliert die sozialversicherungsrechtliche Geringverdienergrenze immer mehr an Bedeutung.

Grundsätzliches

Geringverdiener im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind nicht mit geringfügig Beschäftigten zu verwechseln.

  • Geringfügig Beschäftigte sind sozialversicherungsfrei
  • Geringverdiener sind sozialversicherungspflichtig

Im Einkommensteuergesetz wird ab 2018 ein neues steuerliches Fördermodell spezifisch für Geringverdiener (BAV-Förderbetrag) eingeführt. Diese Besonderheit ist nicht Gegenstand dieser Seite.

Zur Berufsausbildung Beschäftigte, die nicht mehr als 325 Euro im Monat verdienen (= Geringverdiener im Sinne der Sozialversicherung), müssen keine eigenen Beiträge zahlen.
§ 20 Abs. 3 SGB IV:

Der Arbeitgeber trägt abweichend von den besonderen Vorschriften für Beschäftigte für die einzelnen Versicherungszweige den Gesamtsozialversicherungsbeitrag allein, wenn
  1. Versicherte, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, ein Arbeitsentgelt erzielen, das auf den Monat bezogen 325 Euro nicht übersteigt, oder
  2. Versicherte ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes oder einen Bundesfreiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz leisten.
Wird infolge einmalig gezahlten Arbeitsentgelts die in Satz 1 genannte Grenze überschritten, tragen die Versicherten und die Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von dem diese Grenze übersteigenden Teil des Arbeitsentgelts jeweils zur Hälfte; in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt dies nur für den um den Beitragsanteil, der allein vom Arbeitnehmer zu tragen ist, reduzierten Beitrag.

Damit sind folgene Beschäftigte betroffen:

  • Versicherte, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (z. B. Auszubildende, Praktikanten)
  • Personen, die ein freiwilliges soziales Jahr leisten
  • Personen, die ein freiwilliges ökologisches Jahr leisten
  • Personen, die einen Bundesfreiwilligendienst leisten

Wegen der ab 2020 eingeführten Mindestvergütung für Auszubildende verliert die sozialversicherungsrechtliche Geringverdienergrenze immer mehr an Bedeutung.

Der § 242 Absatz 3 Nr. 6 SGB V legt für die Geringverdiener im sozialversicherungsrechtlichen Sinne als Zusatzbeitrag den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz fest. Dies gilt auch in den Monaten, in denen die Geringverdienergrenze durch eine Einmalzahlung überschritten wird:

(3) Die Krankenkasse hat den Zusatzbeitrag abweichend von Absatz 1 in Höhe des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes nach § 242a zu erheben für
....
  1. Beschäftigte, bei denen § 20 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 oder Satz 2 des Vierten Buches angewendet wird.

Der Arbeitgeber muss damit neben seinem AG-Anteil folgendes übernehmen:

  • den AN-Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag,
  • den vollen Zusatzbeitrag in der Krankenversicherung,
    • bis 2014 den Zusatzbeitrag in Höhe von 0,9%
    • ab 2015 den Zusatzbeitrag in Höhe des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes
      • für 2015 bei 0,9 Prozent festgelegt
      • für 2016 bei 1,1 Prozent festgelegt
      • für 2017 bei 1,1 Prozent festgelegt
      • für 2018 bei 1,0 Prozent festgelegt
      • für 2019 bei 0,9 Prozent festgelegt
      • für 2020 bei 1,1 Prozent festgelegt
      • für 2021 bei 1,3 Prozent festgelegt
      • für 2022 bei 1,3 Prozent festgelegt
      • für 2023 bei 1,6 Prozent festgelegt
      • für 2024 bei 1,7 Prozent festgelegt
  • gegebenenfalls den Beitragszuschlag zur Pflegeversicherung für Kinderlose
    • von 2005 bis 2021 in Höhe von 0,25%
    • von 2022 bis Juni 2023 in Höhe von 0,35%
    • ab Juli 2023 in Höhe von 0,60%

Ab dem 1. Januar 2019 wird der bisherige Zusatzbeitrag in der Krankenversicherung paritätisch finanziert (je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer).
Auf die Berechnung hat das aber keinen Einfluss. Der halbe Zusatzbeitrag ist rechtlich gesehen aber AG-Anteil. Der Arbeitgeber muss damit zusätzlich den halben Zusatzbeitrag übernehmen.
Auswirkungen ergeben sich bei einer Überschreitung der Geringverdienergrenze durch eine Sonderzahlung.

Unter diese Geringverdienergrenze im Sinne der Sozialversicherung fallen auch Versicherte die ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes leisten oder einen Bundesfreiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz leisten.

Versicherungsfreiheit aufgrund einer geringfügig entlohnten Beschäftigung kommt für Auszubildende nicht in Betracht. Sie bleiben auch bei Verdiensten bis zur Geringfügigkeitsgrenze versicherungspflichtig.

Wird durch eine einmalige Zuwendung (Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld) die Geringverdienergrenze (325 €) überschritten, so tragen Arbeitgeber und Auszubildender die Beiträge für den übersteigenden Betrag nach den normalen Berechnungsgrundsätzen.
Wird die Geringverdienergrenze nur durch eine Sonderzahlung überschritten, ist auch für den übersteigenden Betrag in der Krankenversicherung der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz anzuwenden.
Dabei gilt von 2015 bis 2018: Diesen trägt der Auszubildende. Das gilt unabhängig von der Krankenkasse des Arbeitnehmers und ob diese Krankenkasse überhaupt einen Zusatzbeitragssatz erhebt.
Ab 2019 gilt: Den Zusatzbeitrag tragen Arbeitgeber und Auszubildender je zur Hälfte.

Für Auszubildende, deren Arbeitsentgelt die Geringverdienergrenze nicht übersteigt, gilt für Meldezeiträume ab dem 01.01.2012 die Personengruppe 121. Der Personengruppenschlüssel 121 ist selbst dann anzuwenden, wenn die Geringverdienergrenze infolge einmalig gezahlten Arbeitsentgelts überschritten wird.
Für Auszubildende in der Seefahrt, deren Arbeitsentgelt die Geringverdienergrenze nicht übersteigt, gilt für Meldezeiträume ab dem 01.01.2012 die Personengruppe 144.
Die neuen Personengruppenschlüssel wurden vorrangig für den Sozialausgleich benötigt, da diese Beschäftigten keinen Zusatzbeitrag zahlen müssen. Auszubildende mit Entgelt unter 325 € hatten generell keinen Anspruch auf Sozialausgleich. Sie zahlten ja auch keine eigenen Beiträge. Mit dem Wegfall des Sozialausgleichs ab 2015 werden auch die 2012 eingeführten Personengruppenschlüssel 121, 122, 123 und 144 eigentlich nicht mehr benötigt. Sie sollten deshalb nur noch für Meldezeiträume bis zum 31.12.2014 verwendbar sein.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat sich aus abrechnungstechnischen Gründen gegen den Wegfall der Personengruppenschlüssel ausgesprochen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist dieser Auffassung gefolgt und hat sich für die dauerhafte Beibehaltung dieser Personengruppenschlüssel ausgesprochen. Damit sind sie weiterhin im Meldeverfahren zu berücksichtigen (Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 22.10.2014).

Nach § 242 Abs. 3 Nr. 6 SGB V hat die Krankenkasse bei Geringverdienern den Zusatzbeitrag in Höhe des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes nach § 242a zu erheben. Diese Steuerung wäre in den Lohnprogrammen über den Personengruppenschlüssel möglich.


Beispiel 1:

Abrechnungsjahr 2021
Der Auszubildende erhält eine Ausbildungsvergütung von 300 €.
Es ist kein AN-Anteil einzubehalten.
Der AG hat die vollen SV-Beiträge zu übernehmen und abzuführen. Sie betragen im Jahr 2021:

  • Rentenversicherung: 18,60%
  • Arbeitslosenversicherung: 2,40%
  • Pflegeversicherung: 3,05%
    Hat der Auszubildende das 23. Lebensjahr vollendet und ist ohne Elterneigenschaft, muss der AG auch die 0,25% Zusatzbeitrag übernehmen. In dem Fall beträgt der Beitrag also 3,30%.
    Die Besonderheit in Sachsen (andere Aufteilung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile) spielt hier keine Rolle, da der Arbeitgeber den Beitrag allein bezahlt.
  • Krankenversicherung: 14,60%.
    Arbeitnehmeranteil von 7,30% und Arbeitgeberanteil von 7,30%
    Der kassenindividuelle Zusatzbeitragssatz spielt keine Rolle. Bei Geringverdienern ist der Zusatzbeitrag in Höhe des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes zu erheben. Dieser wurde für 2021 bei 1,3 Prozent festgelegt.
    Es sind also 14,6% und 1,3% zu erheben.

Sozialversicherungsbeiträge 2022
Sozialversicherungsbeiträge 2023
Sozialversicherungsbeiträge 2024

Der Auszubildende hat in unserem Beispiel das 23. Lebensjahr noch nicht vollendet. Damit fällt kein Zusatzbeitrag in der Pflegeversicherung an.

SV-Beiträge Auszubildender Arbeitgeber
Rentenversicherung 0,00 € 55,80 €
Arbeitslosenversicherung 0,00 € 7,20 €
Pflegeversicherung 0,00 € 9,15 €
Krankenversicherung 0,00 € 47,70 €
Summe 0,00 € 119,85 €

Wenn der Auszubildende das 23. Lebensjahr vollendet hätte und ohne Elterneigenschaft wäre, müsste der Arbeitgeber in der Pflegeversicherung auch den Zusatzbeitrag übernehmen. Der Beitrag würde von 9,15 € auf 9,90 € steigen.

Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2011
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2012
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2013
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2014
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2015
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2016
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2017
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2018
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2019
Beispiele zur Beitragsberechnung der Geringverdiener für 2020


Beispiel 2:

Abrechnungsjahr 2021
Der Auszubildende erhält eine Ausbildungsvergütung von 300 € und 100 € Urlaubsgeld.
Bis zum Betrag von 325 € ist kein AN-Anteil einzubehalten.
Der AG hat bis zum Betrag von 325 € die vollen SV-Beiträge zu übernehmen und abzuführen. Siehe Beispiel 1.

Für den übersteigenden Betrag von 75 € sind die normalen Beitragsberechnungsgrundsätze anzuwenden. Das wären:

  • AG und AN tragen je die Hälfte.
  • In der Krankenversicherung muss der Auszubildende und der Arbeitgeber je 7,95% tragen (7,3% + 0,65%; halber allgemeiner Beitragssatz + Hälfte des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes).
    Ab dem 1. Januar 2019 wird der bisherige Zusatzbeitrag paritätisch finanziert (je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer).
  • Besonderheit in der Pflegeversicherung in Sachsen ist zu beachten.
  • Hat der Auszubildende das 23. Lebensjahr vollendet und ist ohne Elterneigenschaft, muss er die 0,25% Zusatzbeitrag in der Pflegeversicherung tragen.

Der Auszubildende hat in unserem Beispiel das 23. Lebensjahr noch nicht vollendet. Damit fällt kein Zusatzbeitrag in der Pflegeversicherung an.

SV-Beiträge Auszubildender
(Arbeitnehmeranteile von 75 €)
Arbeitgeber
(Volle Beiträge für 325 € und Arbeitgeberanteile von 75 €)
Rentenversicherung 6,98 € 67,43 € (60,45 € + 6,98 €)
Arbeitslosenversicherung 0,90 € 8,70 € (7,80 € + 0,90 €)
Pflegeversicherung 1,14 € 11,05 € (9,91 € + 1,14 €)
Krankenversicherung 5,96 € 57,64 € (51,68 € + 5,96 €)
Summe 14,98 € 144,82 €  

Wenn der Auszubildende das 23. Lebensjahr vollendet hätte und ohne Elterneigenschaft wäre, müsste in der Pflegeversicherung auch der Beitragszuschlag für Kinderlose gezahlt werden. Die Beiträge des Auszubildenden und des Arbeitgebers würden steigen.
Wäre der Ausbildungsbetrieb in Sachsen würde für den übersteigenden Betrag von 75 € eine andere Aufteilung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile in der Pflegeversicherung erfolgen (AG-Anteil: 1,025% und AN-Anteil: 2,025%).


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